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Inhalt

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Titel

Alles ändert sich

Schrecklich verzaubert als Schneeglöckchen

Huflattich, Frühaufsteher des Frühlings

Die blümeranten Veilchen

Der abgeschossene Löwenzahn

Schmutzfink Lilienhähnchen

Hexenspiele der Winden

… aber nichts wird anders

Münchhausen spielt mit Samentüten

Die Sklaverei des Jätens

Tropfnasser Gartentorschluß

Eingetopfte Ausbrecher

Übergeschnappte Topfblumen

Amulett Alpenveilchen

Hyazinthen – fürstlich oder frech?

Die Myrte, der erste gestohlene Ableger

Balkonnovizin Kapuzinerkresse

Viechereien ohne Zaun

Mein feindlicher Obergärtner

Familiensinn der Erdbeeren

Die geprellten Stachelbeeren

Mensch, Amsel und Johannisbeere

Strategie der Himbeeren

Zaun aus Zuckermais

Pflanzliche Indiskretionen

Schulspiele im Botanischen Garten

Männergesang vor der Trauerpflaume

Nachmittags unterm Kaffeestrauch

Das Intime im Jasmin

Schicksale meiner Dahlie Laokoon

Dolce vita Amaryllis

Wie wird die Kirschfichte erschaffen?

Editorische Notiz

Autorenporträt

Über das Buch

Impressum

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Blühendes Leben

Alles ändert sich

Schrecklich verzaubert als Schneeglöckchen

Wenn ein Zauberer vorhätte, dich in ein Pflänzchen zu verwandeln, so hättest du als verwöhnter Mensch vermutlich Geistesgegenwart genug, ihn flehentlich zu ersuchen: »Aber möglichst nicht in ein Schneeglöckchen, bitte nicht. So zeitig schon aufstehen, nie was Warmes, und so bald schon wieder verschwinden müssen, mehrere Pferdelängen vor dem Frühling – mach mich lieber zur Tulpe!«

»So ein Schneeglöckchen hat eine Menge Reputation«, erwidert der Zauberer arglistig. »Jahr für Jahr ist es eine lebende Sensationsmeldung:

Das erste Schneeglöckchen! Schaut her, es wird!«

Und während du winselst: »Ich pfeife auf Reputation! Dann lieber eine Brennessel! Dauernd mit eiskalten Füßen und meist noch mit dem Kopf im scheußlichsten Schnee, und wird man aufgestöbert, verschnürt in pappigen Kinderhänden feilgeboten und – ojee …«

… denn während du so selbstsüchtig jammerst, hätte der Zauberer, ein Kerl von lakonischer Heiterkeit, dich rasch als Schneeglöckchen in den Boden gehext. Mit grünen Punkten an den Blütenzipfeln kommst du übers Jahr wieder heraus, sang- und klanglos stehst du im Matsch, aber reizend.

Unter den Lilienblütlern fühlst du dich als frühreifer Zwerg, zwar von hochinteressanter Blässe und Ausdauer, lieb, naturgemäß etwas spröde, kerngesund, aber benachteiligt. Dein Kelch atmet Schneeluft. Du weißt plötzlich, wie das geht, hold zu sein und leidenschaftlich frostig. Alles in dir ist frigid, aber oho.

Um als Schneeglöckchen aufzutreten, bedarf es einer durch und durch veränderten Gesinnung, die so schnell niemand hat. Du mußt wachsam sein, klar, eindeutig, abgehärtet, wie ein Spitzbergenfahrer wunschlos und trotzdem – ich denke, daß du die ungestüme Unbescheidenheit eines Himalajaforschers zu dieser Wunschlosigkeit obendrein besitzen mußt. Denn das blühende Schneeglöckchen mischt sich in eine Sache, die von Blüten überhaupt nichts wissen will: in den Schnee. Das ist widernatürlich. Es steigt in die Kälte, um aus der Kälte herauszukommen, aber daraus wird nichts. Wenn der Zauberer ein Herz hat, wirst du im ersten Jahr ein Märzenbecher, eine große Dame unter den Eispionieren, das Skihaserl in der unmittelbaren Siedlersippschaft der Schneeflora. Aber im zweiten Jahr tust du unerbittlich Dienst im Eiswasser, als kleines und gemeines Schneeglöckchen, das den Schnabelhieb einer stöbernden Amsel befürchten muß, wenn es sich nach der Sonne umschaut.

Obendrein hast du immer noch zu rechnen mit dem menschlichen Verbrechen der Zwiebelgräberei, das keinen Deut anständiger ist als das Abmontieren von Dachrinnen, oder mit einem Messerstich ins Zwiebelherzchen, weil dein Hals für kleine Vasen nicht lang genug ist. Das ewig durchfrorene Eis- und Schneeproletariat auf dem Mount Everest bringt es weder zu einer kleinen Zwiebel noch zur Bewunderung von seiten der Menschen, weil es im Schnee keinen Humus mehr gibt und weil Leuten zwischen vier- und sechstausend Meter Höhe jede Lust am Holdseligen vergeht. Spaltenhumus schlecken diese troglodytenhaften Eispygmäen, die zu Eis gefrieren, bevor sie sich umschauen können.

Nach orientalischen Märchen ist das Schneeglöckchen aus den Tränen des schuldig gewordenen Adam entsprossen. Eva weinte vielleicht den Krokos, vielgestaltig, plissiert und reuelos getüpfelt, in allen kleidsamen Farben, aber so was behaupten die Märchen natürlich nicht. Augenscheinlich weinte Adam sehr viele Tränen auf einmal, denn immer stehen Schneeglöckchen in großen, tuschelnden Rotten. Und wahrscheinlich weinte Adam lange, weil es im Freien nach soviel göttlicher Sonne und soviel Paradies erbärmlich kalt war.

Huflattich, Frühaufsteher des Frühlings

Bis zu meinem zwölften Jahr hielt ich Huflattich für verfrühte Kuhblumen. So heißen eigentlich die Blüten des Löwenzahns. Seltsam, im übrigen war ich botanisch früher aufgeklärt als andere Kinder.

Aber mit vollem Verstand begegnete ich dem Huflattich nicht in der Natur, wo es im März noch nicht viel anderes gibt, sondern auf einer Nürnberger Heilkräutertafel. Dort trug er den Namen Tussilago.

Tussilago war wie der Hussaschrei der wilden Jagd. Diese verlorenen Groschenstücke von Blüten sahen wirklich wie Münzen aus, die wilden Jägern aus der Tasche gefallen waren. Und die graugrünen Huflattichblätter, plump gezackt, gleichen tatsächlich Pferdehufen. Roßhuf und Fohlenfuß nannten sie scharfäugige Vorfahren. Der pflanzenkundige Plinius fand, die nachlässig verstreuten Messingmünzen der Blüten seien in Wahrheit Goldstücke. Sie verwandelten sich nur dann in Schutt, wenn sie der Beschenkte übersah. Mit aschenbrödelhaften Abbildern der Sonne, wie Huflattich und so, beginnt das Jahr. Mit starken Sonnenbildern, mit Sonnenblume, Dahlie, Aster und Chrysantheme sagt es auf Wiedersehen.

Nach dem ersten Vortrag, den ich über Frühlingskräuter anhörte, probierte ich das Rauchen aus einer Maiskolbenpfeife, die ich mit Huflattichtee gestopft hatte. Sie schmauchte und stank, aber es sah zu meiner Zeit unter Zwölfjährigen denn doch gewaltig aus. Als mir schlecht wurde, wußte ich, daß es mir trotzdem gut bekam; denn schon lange vor der Einführung des indianischen Tabaks, sagte der Redner, atmeten die Alten den Rauch des Huflattichs ein, um vom Asthma befreit zu werden. Die Alten! Wir hatten gelernt, daß die Alten wußten, was sie taten.

Ich entsinne mich meiner ersten Wanderung mit ausgemachten Naturfreunden in ein Frühlingstal der Ausbrucher Alb, den goldenen Jagdgründen des Huflattichs entgegen, zwei Mädel mit Klampfen vorn an der Spitze. Nach zehn Minuten wandervogelfroher Wanderung mit Naturfreunden, die in Seitentälern nach Scharbockskraut und Wirtschaftsschildern Ausschau hielten, vernahmen wir von einer fernen Halde einen Aufschrei. Alles lief hinzu. Wir fanden einen Burschen, der das Gesicht eines australischen Goldgräbers machte: er hatte echten blühenden Huflattich gefunden. Mein Gott, was war die Natur zu dieser Zeit noch eine rabiate Geschichte – kein Motorrad weit und breit, und mitten in der Stille eine Huflattichblüte von unverschämtem Kanarienvogelgelb!

Der Naturvereins-Vorstand ordnete die aufgeregten Mitglieder um sich, untersuchte die Blüte, schrieb genau den Standort auf, beroch sie, zählte sie zu den Korbblütlern, nannte sie Floras hähnchenhaften Frühaufsteher und machte darauf aufmerksam, daß am Fundort noch keine Huflattichblätter stehen könnten, sofern es echter Huflattich sei. Denn wie bei der Pestwurz kämen die Blüten vor den Blättern. Wir sahen nach und: hei, es war so. Ein Amateurfotograf machte von der Blüte eine Nahaufnahme, die allerdings nichts wurde, weil fotografieren noch eine Kunst war.

Nachdem sich der Kreis wieder aufgelöst hatte, schwärmten wir aus, um weiterem Huflattich auf die Spur zu kommen. Wir hatten Erfolg, denn Huflattich ist nicht spröde. Vor dem Schuttabladeplatz einer Mühle stöberten wir seine Blüten in dramatischen Massen auf. Sie wurden gepflückt und sorgfältig über Hüte, Klampfen, Hosenträger und Zöpfe verteilt. Eine über und über gelb getupfte Schar zog mit wissenschaftlicher Fröhlichkeit durch das Tal.

Im Wirtshaus »Zur Efeuranke« geschah es, daß der Vorstand zwei Halbwüchsige aus der Mitgliederliste streichen mußte. Sie hatten seine Kurzsichtigkeit benutzt, ihm eine orchideenhaft aufgeputzte Pflanze zu zeigen und ihn um ihre Bestimmung zu bitten. Eine so schöne Blüte sah ich nie mehr im ferneren Leben. Es war eine Huflattichblüte, die mit Stanniol und Bonbonpapier kunstvoll garniert war; die Staubfäden bestanden aus Salamihäuten. Die zusammengerufenen Mitglieder strömten zu diesem Wunder der Flora, aus allen Talspalten herbei. Ein Liebespaar fand den Pfad aus einer Zaubernußhecke zurück, aus brausenden Kalksteinhöhlen eilten Kletterer herbei, die Ammoniten gesucht hatten, und es gab einen Riesenkrach, weil sich ein dicker Bäcker dabei den Fuß verstauchte und darauf beharrte, daß solche Bübereien unter Pflanzenfreunden in seiner Jugend mit Lederriemenhieben auf den Hintern aus der Welt geschafft wurden. Aber solche Schamlosigkeiten kamen dafür auch niemals vor, Gott sei Dank.

Als es Abend wurde, war die Beute an gottgewollten Huflattichblüten groß. Jeder hatte eine Menge gelernt. Knopflöcher, Hüte, Rocktaschen, Regenschirme, Blusen und Frisuren starrten streußelkuchengelb, der Mond hing wie die Schweinsblase einer Bauernwirtschaft über dem alten Nürnberg. Nun konnte der Frühling beginnen. Wir hatten die Natur geliebt und goldnen Lorbeer von ihr geerntet. Als nächste Wanderung stand auf dem Schwarzen Brett: »Das Veilchen mit Ausblick auf Gundelrebe, Leberblümchen, Immergrün, Männertreu, Ehrenpreis und Verwandte.«

Die Natur wanderte aus dem österlichen Eigelb hinüber in gesittetes Blau.

Die blümeranten Veilchen

Der Adler ist das Sinnbild des Stolzes, das Veilchen ist ganz anders. Es ist das Blümchen Bescheidenheit und nimmt vorlieb.

Nimmt es auch wirklich vorlieb? Wo ein Veilchen sich hingekuschelt hat, krallt es sich demütig fest und hat nichts anderes in seinem blauen Köpfchen, als sich unbescheiden fortzupflanzen. Wo im letzten Jahr ein einziges Veilchen vorliebnahm, stehen in diesem Jahr zehn, aufgereiht an einer langen Schützenkette. Sie haben Samenpäckchen als Marschverpflegung unter der Joppe und robben durch die Büsche. Den Gärtnern ist die wahre Psyche des Veilchens wohlbekannt; Blümchen Bescheidenheit hat die Robbermanieren des frechen Unkrauts, aber es senkt dabei den Blick. Als Madame de Sévigné die Mätresse Louise de La Vallière ein bescheidenes Veilchen nannte, bemerkte Madame de Genlis pflanzenkundig, dieses Veilchen hätte dem Sonnenkönig in aller Unschuld vier Kinder dazwischengepflanzt.

Wer im Halbschatten ein selbstversunkenes Veilchen pflückt, kann erleben, daß das liebliche Ding ihm sein Weihrauchgefäß mit dem zarten Pastillenduft entgegenschwenkt, der sich unter den Wohlgerüchen als allersanftester aufspielt, um im richtigen Moment von keusch auf schwül zu schalten. Wahrscheinlich ist dieser richtige Veilchenmoment gerade der, den der Mensch erleben will.

Deshalb schütteten die praktischen Gallier Veilchen über die Brautlinnen. Viele hätten lieber gehört, die poetischen Gallier, weil es poetische Praxis ist, solche Runen der Jungfräulichkeit auf Linnen zu entziffern und genau das herauszulesen, was das Blümchen Bescheidenheit leugnet aber eigentlich will.

Mit einem Veilchenkranz im Haar schwebte die verführerische Kreolin Josephine Beauharnais dem verliebten kleinen Korsen Bonaparte entgegen. Diesem Weibsveilchen verdankte Napoleon die einzigen Ungewißheiten seiner martialischen Laufbahn und den paradoxen Spitznamen »Korporal Veilchen«.

Eine dezentere Veilchenfanatikerin war Kaiserin Eugenie, die bescheidene Gemahlin Napoleons III., der als tüchtiger Parvenue einen gewissen Schwebesitz zwischen Adler und Veilchen einnahm. Unter Eugenie mit dem Veilchensträußchen am Gürtel wurde die Farbe des veilchenblau gewundenen Jungfernkranzes zum bleumourant, das Plüschsessel, Ottomanen, Seidentapeten, Roben und Schärpen so hinsterbend überwucherte, daß den Zeitgenossen die Augen flimmerten und das verstorbene Wörtchen »blümerant« wieder lebendig wurde. Es war im Gefolge des 30jährigen Krieges schon einmal dagewesen, als bleumourant, dem die Sprachreiniger mit der Übersetzung sterbeblau den Garaus machten.

Im Historiengemälde der Veilchendemut macht es sich viel dramatischer, daß die wunderschöne, aber von Nachbarn ihrer nächtlichen Liebesnotschreie wegen als ruhestörend verwünschte Mademoiselle Clairon sich von einem ihrer Liebhaber allmorgendlich ein frisches Veilchensträußchen wünschte, und zwar zu allen Jahreszeiten. Kein Veilchen, keine Clairon. Dieses veilchenzarte Begehren spornte den Clairon-Besessenen zur Veilchentollwut an, zudem würzte die Clairon nach dem aphrodisischen Bukettgenuß allnächtlich ihren Schlummertee mit abgeknipsten Veilchenblüten; viel Clairon, viel Tee und noch mehr Blüten. Der Tollwütige züchtete Vier-Jahreszeiten-Veilchen, dreißig Jahre lang, und heute sind sie noch nicht umzubringen.

Ein weniger aphrodisisches Schicksal erlebte das bezaubernde Veilchen, das den Ritter Nithart Fuchs als erster Frühlingsbote in den Donau-Auen begrüßte. Nithart war hochentzückt und stülpte seinen Ritterhut darüber, weil er anderen zeigen wollte, wie früh und bescheiden das liebe blaue Ding am Waldrand saß. Eilends ritt er also zum Hof des fröhlichen Herzogs Otto, um die Fröhlichen zum festlichen Frühlingstrampeln um das süße Veilgen zu versammeln. Kaum hatte er den Rücken gekehrt, fand ein Bauer den prächtigen Hut, pflückte bescheiden das bedeckte Veilchen, knöpfte nach Bauernart danach die Hose auf und »ließ zurücke, was sich nicht singen und sagen läßt« und deckte es mit dem Ritterhut wieder zu. Hans Sachs und Anastasius Grün sagten und sangen es später doch – wie angedonnert starrten Otto der Fröhliche und seine Damen auf Nitharts bescheidenes Veilchen und wurden über soviel unhöfische Rüpelei so unfroh, daß sie den ordinären Nithart davonjagten.

Der konnte Bauern seitdem fürs ganze Leben nicht mehr riechen und wenn er Veilchen fand, wurde ihm, so anachronistisch verfrüht dies auch war, ganz blümerant.