cover

Inhalt

[Cover]

Titel

Vorwort

Erfahrungen eines Hobbygärtners

Erste Woche

Zweite Woche

Dritte Woche

Vierte Woche

Fünfte Woche

Sechste Woche

Siebte Woche

Achte Woche

Neunte Woche

Zehnte Woche

Elfte Woche

Zwölfte Woche

Dreizehnte Woche

Vierzehnte Woche

Fünfzehnte Woche

Sechzehnte Woche

Siebzehnte Woche

Achtzehnte Woche

Neunzehnte Woche

Autorenporträt

Übersetzerporträt

Über das Buch

Impressum

[Leseprobe – Das Jahr des Gärtners]

Titel.jpg

Vorwort

Die Liebe zum Schmutzigen, Erdigen zählt zu den frühesten menschlichen Leidenschaften, und sie ist auch unsere letzte. Schlammtorten sprechen einen unserer ersten und besten Instinkte an. Solange wir schmutzig sind, sind wir rein. Die Liebe zur Scholle kehrt wieder, wenn wir unsere Vergnügungs- und sonstigen Touren hinter uns haben – nachdem wir Dreck aßen und Wildhafer1 säten, uns durch die Welt treiben ließen und das Leben in vollen Zügen genossen. Die Freude am Umgraben (oder auch daran, jemandem zuzuschauen, der es gegen Bezahlung für uns tut) kehrt so sicher zurück, wie wir alle, früher oder später, für immer unter die Grasnarbe müssen. Ein bisschen Land zu besitzen, es mit der Hacke zu bestellen, Saat einzubringen und die Wiedergeburt des Lebens zu beobachten – kein verbreiteteres Vergnügen kennt unsereiner, keine befriedigendere Tätigkeit der Mensch. Schon bei Cicero steht bei den Freuden des Alters die bäuerliche Arbeit ganz oben: Venio nunc ad voluptates agricolarum, quibus ego incredibiliter delector: quœ nec ulla impediuntur senectute, et mihi ad sapientis vitam proxime videntur accedere.2 (Ich muss mich des Lateinischen bedienen, weil diese New Yorker Schreiberlinge mit ihrem unaufhörlichen Lob des Frühlings – und insbesondere des Monats Mai – unsere Sprache ganz saft- und kraftlos gemacht haben.3)

Feiern wir also die Scholle. Die meisten Menschen rackern sich ab, nur um irgendwann ein eigenes Fleckchen Erde zu besitzen. Der Grund und Boden, den sie zu erwerben vermögen, ist ihnen das Maß ihres Lebenserfolges. Dies hat der ehrgeizige parvenu mit dem stolzen Aristokraten gemein. Weitläufige Ländereien sind ein Signet der Vornehmheit; nichts verschafft mehr das Gefühl, in dieser Welt etwas zu gelten, als ein Stück Land, das man sein Eigen nennen darf. Auf die Größe kommt es dabei nicht so sehr an, denn selbst das kleinste Fleckchen reicht ja sechstausend Kilometer in die Tiefe ins Erdinnere – wahrlich ein stattlicher Besitz! Doch es ist nicht der Besitz allein, der Freude beschert, sondern ebenso sehr die Bearbeitung des Bodens. Wer einen Garten bestellt hat, spürt, dass er der Welt etwas Gutes getan hat. Er darf sich zu den Erzeugern zählen. Es ist eine Wonne, die Früchte des eigenen Schweißes zu essen, und sei es auch nur ein Salatkopf oder ein Maiskolben. Sogar die Kultivierung eines Rasens verschafft eine tiefe Befriedigung, denn in unseren Breiten findet sich kaum etwas Schöneres als eine gepflegte Grasnarbe. Die Tropen mögen manch Köstliches bieten, aber einen richtigen Rasen kennt man dort nicht. Doch welch trostlose Wüstenei ist eine Welt ohne Rasen! Selbst im legendären Garten Eden dürfte es kaum einen Rasen gegeben haben, wie man ihn in England zu sehen bekommt. Auch die teutonischen Geschlechter wissen den Rasen offenbar zu schätzen, ziehen sie doch dorthin, wo er besonders gut wächst.

In der lockeren Erde zu hacken – maßvoll, denn alles Schöne sollte maßvoll genossen werden – ist eine wunderbare Sache. Aus der Erde fließt Kraft, sooft man sie mit der Hacke richtig berührt. Antæus (wir bewegen uns hier auf klassischem Boden) muss ohne Frage ein Landmann gewesen sein; selbst ein Preiskämpfer wie Herkules konnte ihm nichts anhaben, solange er ihn nicht dazu brachte, seinen Spaten aus der Hand zu legen und die Scholle zu verlassen.4 Man züchtet in seinem gut gehackten Garten ja nicht nur rote Rüben und Kartoffeln und Mais und grüne Bohnen, sondern das menschliche Leben schlechthin. Im Boden steckt Leben, das nicht nur in die Saat strömt, sondern auch in den, der es anregt und gedeihen lässt – den Ackersmann. Die pralle Sonne auf dem Rücken, während man sich über Schaufel oder Hacke beugt oder beschaulich den warmen, duftenden Lehmboden recht, ist heilsamer als manch eine Medizin. An den Büschen ringsum brechen die Knospen hervor; die Blüten der Obstbäume beginnen sich zu zeigen; in den Traubenstöcken steigt der Saft in Strömen; der Duft der Wildblumen erfüllt von der nahe gelegenen Böschung her die Luft; die Vögel flattern umher und äugen und singen allerorts. Im Türrahmen der Küche erscheint die geschäftige Hausfrau, schüttelt ein weißes Etwas und hält für einen Moment inne, ganz benommen von den Schönheiten, die sich Auge und Ohr bieten. An einem schönen, milden Maitag seinen Garten zu hacken, ganz ohne Zwang, ist der reinste Genuss. Nur ein Ausflug zum Forellenbach mag beinahe so schön sein.

Gepriesen sei die Ackerarbeit – solange sie sich in Grenzen hält. Die ganze Literatur besingt sie in feinsten Tönen. Am Fuße der herrlichen, mit Olivenbäumen bewachsenen Hügel von Tivoli besaß Horaz (nicht der Horace von Chappaqua5) ein sonniges Landgut, unweit von Hadrians Villa. Hadrian betrieb wohl Landschaftsgärtnerei in großem Stil, bezog daraus aber vermutlich nicht halb so viel Freude wie Horaz aus seiner schlichter bestellten Scholle. Es steht zu hoffen, dass Horaz auch selbst hin und wieder zur Hacke oder Gabel griff und dass seine Dichtung nicht gänzlich auf geborgten Gefühlen beruht. Wer an Land- und Gartenarbeit seine Freude haben will, sollte sie stets mäßig betreiben. Auch ist es keineswegs von Nachteil, wenn man zu den Ärmeren zählt und so einen gewissen Anreiz verspürt, selbst ein wenig mit Hand anzulegen. Auf denn! Greife den Frühling über fleißig zur Hacke, und genieße die frohen Erwartungen! Dann ist es auch nicht weiter schlimm, falls die Dinge letztlich nicht ganz so geraten.

1 ein Unkraut

2 Cicero, De senectute 15,52: »Ich komme jetzt zu den Freuden des Bauern, die mich unglaublich ergötzen, und diese Freuden verhindert das Greisenalter keineswegs; sie scheinen dem Leben eines Weisen am besten zu entsprechen.«

3 Anspielung auf Walt Whitman (1819–1892).

4 Antæus’ Kraft wurde durch die Berührung mit dem heimatlichen Boden immer wieder neu gestärkt. Herkules konnte den Riesen Antæus nur besiegen, indem er ihn emporhob und in der Luft erwürgte.

5 Gemeint ist der Journalist und Gründer des Wochenmagazins »New Yorker« und der »New York Tribune« Horace Greeley (1811–1872), der in Chappaqua bei New York auch eine Musterfarm betrieb.

Erfahrungen eines Hobbygärtners

Erste Woche

Unter diesem bescheidenen Titel will ich hier eine Reihe von Aufzeichnungen über das Gärtnern beginnen. Mitunter werden sie, ähnlich wie man das von Saatgutkatalogen her kennt, wenig Bedeutendes enthalten. Ich bin indes der Meinung, dass niemand das Recht hat, nützliches Wissen für sich zu behalten, und wage daher zu hoffen, dass jene, die nach mir kommen – Steuereintreiber und dergleichen Personen einmal ausgenommen –, von meinen Erfahrungen profitieren werden. Da mein Wissen beständig zunimmt, werde ich mit meinen Aufzeichnungen so schnell wohl nicht an ein Ende gelangen. Mir schwebt allerdings keine systematische Beschreibung des Land- beziehungsweise Gartenbaus vor. Vielmehr will ich mich von Thema zu Thema tragen lassen, je nach Wetterlage und Unkrautstand, der mich bald in dieser, bald in jener Ecke des Gartens zur Pflicht ruft.

Vom Hauptzweck eines eigenen Gartens herrschen völlig irrige Vorstellungen. Der liegt keineswegs darin, den Besitzer mit Obst und Gemüse zu versorgen (das kann der Marktgärtner im Grunde viel besser und billiger), sondern ihn Geduld und Philosophie zu lehren und ihm die höheren Tugenden beizubringen – führen unerfüllte Hoffnungen und enttäuschte Erwartungen doch nur allzu häufig direkt zu Resignation und mitunter völliger Aufgabe. Der Garten wird so zum Werkzeug der Moral, zum Charaktertest – wie schon am Anfang aller Dinge. Diesen zentralen Punkt werde ich bei meinen Aufzeichnungen im Auge behalten. Falls kein ertragreicher, so soll mein Garten wenigstens ein moralischer Garten sein – einer, der euch allen, o meine Brüder und Schwestern, die großen Lektionen des Lebens vermittelt.

Es geht schon damit los, dass man bei einem Garten in unseren Breiten nie genau weiß, wann man mit der Arbeit beginnen soll. Wenn etwas früh zur Reife kommen soll, zieht man es zunächst am besten im Gewächshaus an. Wagt man sich nämlich vorschnell damit ins Freie, ist die Gefahr groß, dass der Frost zuschlägt. Auch wenn das Thermometer heute auf dreißig Grad klettert, kann es morgen Nacht noch Frost geben. Verpasst man indes das rechtzeitige Setzen oder Aussäen, ist man ständig in Unruhe, weil man weiß, dass das eigene Gemüse erst spät kommen wird und der Nachbar schon Früherbsen erntet, während die eigenen partout nicht sprießen wollen. Das schlägt wirklich aufs Gemüt. Hat man aber früh gesetzt, fühlt man sich dauernd hin und her gerissen und weiß nicht, ob man sich die Triebe nun über oder unter der Erde wünschen soll. An einem warmen Tag möchte man die Jungpflanzen bereits sehen; pfeift der Wind aus Nord, Frost mit sich bringend, zittert man und hofft, dass die Keime noch nicht aufgesprungen sind. Das Frühjahr vergeht so unter bangen Zweifeln und Ängsten, die sich in der Regel auch als durchaus begründet erweisen. Dem Gärtner verschafft dies eine hervorragende Übung in Sachen Moral.

Nun, da steht mein Mais, sechs oder sieben Zentimeter hoch an diesem 18. Mai, und hat offenbar keinerlei Angst vor Frost. Ich war an diesem Morgen gerade dabei, ihn zum ersten Mal zu hacken (Mais hackt man in der Regel besser nicht früher, sondern erst um den 18. Mai herum), als Polly herauskam, um nach den Limabohnen zu sehen. Es schien ihr zu gefallen, wie gut die Stangen standen. Ich fand auch, dass sie gut aussahen – ein hübsches Grüppchen, groß, gut gewachsen und schön gerade. Und kostengünstig waren sie obendrein. Was daran liegt, dass ich sie auf fremdem Grund unbemerkt abschnitt und mitgehen ließ. Zwar habe ich mir über diese Transaktion aus der spezifisch moralischen Perspektive des Gärtnerns noch keine besonderen Gedanken gemacht; doch wie ich weiß, nehmen sich die Leute hierzulande in unserem politischen Garten, bei Wahlen, ja allerlei Freiheiten heraus. Polly meinte, die Bohnen seien eigentlich gar nicht selbst hervorgekommen; vielmehr sei die Erde von ihnen abgefallen, so dass sie nun freilagen. Sie hielt es für richtig, wieder etwas Erde über sie zu streuen; nachsichtig ließ ich sie gewähren. Als sie gegangen war, fiel mir ein, dass Bohnen immer auf diese Weise kommen – krumm, mit dem falschen Ende voran. Eigentlich, dachte ich, wollen sie ja Licht, keine Erde.

BEOBACHTUNG: Frauen haben in Gärten seit jeher nichts als Unordnung gestiftet.

Ich erbte mit meinem Garten einen großen Fleck Himbeeren. Wunderbare Frucht, die Himbeere, wenn die Erdbeerzeit vorbei ist! Diese Himbeerhecke entwickelte jedoch eine Widerspenstigkeit, dass man kaum noch an sie herankam. Die Schösslinge waren enorm groß und trieben ihre langen, stacheligen Arme in alle Richtungen, aber die Sträucher waren alle schon ziemlich abgestorben. Ich rückte ihnen mit meinem Gartenmesser kräftig zu Leibe, doch man kommt sich dabei vor wie im Kampf gegen die Erbsünde. Die Sorte kann ich empfehlen. Brinckley’s Orange heißt sie, glaube ich. Sie wächst ausgesprochen gut und hat enorme Stängel. Auch soll die Frucht sehr gut schmecken, aber das ist eher Nebensache, weil die Pflanze in dieser Region sowieso nicht sehr häufig trägt. Die Stiele scheinen eine zweijährige Einrichtung zu sein – im einen Jahr wachsen sie, im zweiten Jahr tragen sie und sterben dann ab. Den Winter überstehen diese Sträucher aber meist ohnehin nicht, und nimmt man sie nicht ins Haus (was freilich nicht unbedingt zu empfehlen ist, wenn man kleine Kinder hat), bekommt man sie nur sehr schwer zum Blühen und Tragen. Dies ist der stärkste Einwand gegen diese Himbeerenart. Ich denke aber, dass ich sie aus ideell-erzieherischen Gründen behalte. Was die Früchte angeht, werde ich mir einige andere, widerstandsfähigere Sorten zulegen.