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Inhalt

[Cover]

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Zitatnachweis

Autorenporträt

Übersetzerporträt

Kurzbeschreibung

Impressum

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1

Ihr kennt das Bild aus Zeichentrick- und den besten Trashfilmen: Der Held fährt in einem Boot oder Floß mitten auf einem großen Fluss oder krallt sich an einen Baumstamm, und plötzlich erkennt er, dass da vorn der Horizont abbricht, dass das Rauschen des aus der Höhe herabstürzenden Wassers immer stärker wird, dass der Fluss zu tief ist, als dass er mit den Händen im Grund Halt finden könnte, also beginnt unser Hase, Cowboy oder Teilnehmer eines Familienpicknicks verzweifelt Richtung Ufer zu rudern, jagt mit Wucht das Wasser nach hinten, aber das Wasser ist wie zum Trotz weich, wässrig, glitschig, das Rauschen nimmt zu und mischt sich mit dem Rauschen des Blutes, das gegen die Schläfen hämmert, unser Held weiß inzwischen, dass er es nicht schaffen kann, akzeptiert schließlich den Wasserfall, er macht sich keine großen Illusionen mehr, und doch hegt er die vage Hoffnung, dass der Sturz vielleicht schmerzlos sein wird, dass er mit Lungen voller Luft in der schwarzen Tiefe landen, nach kurzer Zeit auftauchen und in grüne Gefilde treiben könnte.

Und was, wenn der Held selbst alles in einem ist – Baumstamm, Wasserfall, Fluss? Was, wenn der einzige Wasserfall, den er kennt, ihm jetzt im Magen knurrt, da er auf dem Bahnsteig sitzt und das anschwellende Rauschen der Menge und der Metro der Linie G hört, die einige unsichtbare Waggons muffiger Luft vor sich herschiebt?

»Ist das eine Anspielung auf Malewitsch?«, fragte sie mit einer an ein Satinbändchen erinnernden Stimme.

»Ja«, erwiderte ich intuitiv, »es ist die Variation einer polnischen Künstlerin auf das Schwarze Quadrat, ziemlich gnadenlos, aber witzig, finde ich, jedenfalls passt es sehr gut auf das Cover meines Buchs.«

»Das ist dein Buch?« Das Bändchen begann in der Luft zu wogen.

Erst jetzt wandte ich mich zu ihr um und scannte in aller Ruhe ihr Gesicht, mit der Präzision und der Sensibilität einer Blindenhand. Sie war etwas über zwanzig und hatte so intensiv blaue Augen, dass ich sie in einem Film oder auf einem Foto für den reinsten Kitsch gehalten hätte, dazu rötliche Augenbrauen, eine hohe Stirn, eine leichte Stupsnase mit derart kleinen Nasenlöchern, dass sie unmöglich zum Atmen dienen konnten, sie existierten einfach um ihrer selbst willen, zur Freude und Erheiterung; ihr langes Haar in der Farbe von Nudeln (ein Ei auf ein Kilo Mehl) war lässig zu einem Samurai-Dutt hochgesteckt, und die Haut war blass wie eine sandige Landschaft, durchschnitten von den Flüssen und Flüsschen der Adern.

»Ja, Gedichte.«

Das klingt immer blöd, als würde man sich zu einer peinlichen Krankheit bekennen.

»Cool, ich gratuliere. Darf ich reingucken?«

»Klar.«

Vor ein paar Tagen hatte ich einen Schauspieler kennengelernt, Steve, er hat eine kleine Rolle in Die Verurteilten gespielt; als er mich zum Flughafen brachte, ließ er mich laut lesen. »Lies auf Englisch«, sagte er, »lass das niemand für dich machen, er wird’s nur vermasseln, lies selbst, dann hast du einen besseren Kontakt zum Publikum.« Am meisten interessierte ihn die Aussprache des Wortes copulation. »Da muss mehr Energie dahinter sein«, drängte er. »War das ein ganz normaler, technischer Fick, oder hat’s auch ein bisschen Spaß gemacht? Wenn ja, dann zeig das. Also, noch mal, bisschen stärker und mit mehr Vibration in der Stimme!« Erst, als wir fast am Flughafen waren, merkte ich, dass Steve mich vögeln wollte.

»Ich schau mir die Gedichte an, vor der Lesung morgen«, erklärte ich, um die unerträgliche Zeit zuzutexten, während der ihre stäbchenartigen Finger mein Buch umblätterten, während der ihre kitschigen Augen meinen Helden, mich, auszogen, bis er splitternackt war.

»Warum interessiert dich Malewitsch, hast du was mit Kunst zu tun?«, fragte ich, damit sie kein Oberwasser bekam.

»Ich hab Architektur studiert und promoviere, ich hab mit Bekannten ein Studio in Manhattan, in Chelsea.«

Endlich erschien die Metro.

»Architektur, toll!« So ganz hatte ich die amerikanische Begeisterung noch immer nicht drauf.

»War nett, dich kennenzulernen«, sagte ich mit einem angeklebten Lächeln, nahm ihr den Gedichtband aus den Händen und stieg in den letzten Waggon, durch eine ganz andere Tür als sie.

Ich stehe vom PC auf, gehe ins Bad, wische mir schnell übers Gesicht, einen Moment lang suche ich im Spiegel nach neuen grauen Haaren, du sollst dich nicht drücken, sondern schreiben, sage ich mir, geh zum Schreibtisch zurück, wenn du erschrickst, wirst du verlieren, schreib, besser gesagt, schreib’s nieder, denn alles ist schon da, du musst nichts erfinden, dein vom Fressen und Saufen geschwollenes Gesicht ruft dich zur Ordnung, das neue graue Haar lässt dich zurückgehen.

Die Metallbüchse zittert – sind die Waggons hier aus recycelten Büchsen gemacht? – und legt sich in die Kurven wie ein Bobschlitten. Schau nicht zum anderen Ende, konzentriere dich lieber auf den Auftritt des obdachlosen schwarzen Komikers, der sein Monodrama von der schlechten Regierung, den Krediten und der Rassendiskriminierung ohne das geringste Stottern vorträgt, mit perfektem Timing, exakt zwischen Nassau und Lorimer Street.

Ich stieg aus, die Menschenmasse trug mich zur Haltestelle der grauen Linie, doch mitten in der Masse, direkt vor mir, ein verdächtig einzelnes Objekt – sie in ihrem beigen Mantel, in Leggings und weißen Leinenschlappen (eine andere Bezeichnung kommt mir nicht in den Sinn), mit entblößten Fersen in der Größe von Hühnereiern (was hab ich bloß immer mit Eiern?). Ich konnte in diesem Gedränge nicht hinter ihr gehen, ihr in den Nacken keuchen, in das mit weißem Flaum bedeckte Delta der Wirbelsäule. Also beschleunigte ich meinen Schritt und ließ sie hinter mir, lieferte sie anderen Perversen aus.

Die graue Metro fuhr los, ich setzte mich zwischen eine Chinesin, die mit ihrem iPod sprach, und einen jungen Schickimicki mit Bügelfaltenhose, einem braunkarierten Pullover unter dem taillierten Jackett und farblos lackierten Fingernägeln. Der Typ war entschieden irritiert, suchte seinen Platz in der Welt, aber als die Metro in das Schwarz hineinfuhr, funktionierte sein Navi nicht mehr.

Nach ein paar Minuten sehe ich sie wieder, sie steht drei, vier Meter von mir entfernt und weiß, dass ich sie bemerkt habe. Sie hält einen halben Liter Kaffee in der Hand (wann hat sie es geschafft, den zu kaufen?) und betrachtet mich einen Moment lang mit freundlichem Trotz, ihre geröteten Lider öffnen und schließen sich in verlangsamtem Tempo wie die Klappscheinwerfer des Austin, in dem Steve mir selbstlos Ausspracheunterricht gab, sie hat nicht im Geringsten die Absicht, auf mich zuzugehen, und doch scheint ihre betont ungezwungene Kontrapose, die Füßchen in den abgelatschten Tennisschlappen, auf der Höhe der Knöchel dergestalt gekreuzt, dass das rechte Füßchen nur mit den Zehenspitzen den Boden berührt, diese ganze Körperarchitektur scheint mir eine einzige große Einladung zu einem ehrgeizigen internationalen Projekt zu sein.

Natürlich will ich nicht dasitzen und so tun, als würde ich sie nicht kennen, aber auf das unterbrochene Gespräch zurückzukommen, hieße, um Aufmerksamkeit zu betteln, es wäre so, als würde ich nachts ohne automatisches Steuerungssystem in einen Raum eindringen, der von einem fremden Flughafen kontrolliert wird.

»Da sind wir ja wieder. Ich dachte mir, ich nutze den Zufall und frage, was ich mir hier Interessantes ansehen könnte. Vielleicht eine Ausstellung oder etwas Ähnliches?« Diesen Origami-Satz ließ ich in ihre Richtung los.

»Kein Thema, ich hab’s nicht eilig, ich fahr ein paar Stationen mit dir, und dann schauen wir«, erwiderte sie freundlich, aber automatisch wie eine Kassiererin im Supermarkt.

Ein paar Minuten lang fuhren wir in einer beschwerlichen Stille, die lauter war als das Rattern der Räder und die Ansagen des Fahrers, der die weiteren Stationen bekanntgab, als verkündete er den Namen des Oscar-Gewinners in der Kategorie »Beste Hauptrolle«.

In der Gegend der 8th Avenue und 14th Street kamen wir aus dem Tunnel, und das Mädchen suchte eine Adresse im Telefon. Ich kam mir blöd vor, dass ich sie bemühte, umso mehr, als ich gar keine Lust auf irgendein Museum hatte. Kurz darauf telefonierte sie, um sich zu vergewissern, dass die Ausstellung offen hatte.

»Du musst ein paar Querstraßen nach Norden. Gagosian Gallery. Richard Serra – einer meiner Lieblingsbildhauer.«

»Danke, das ist sehr nett von dir. Wie heißt du?«, fragte ich, um wenigstens ihren Namen als Erinnerung zu haben.

»Megan.«

»Vielleicht kommst du morgen zu meiner Lesung, Megan?«

»Gern, wann und wo?«

»Um 17.00 im Bowery Poetry Club, die Adresse weiß ich nicht mehr, aber die kannst du googeln«, sagte ich mit gespielter Lässigkeit.

»Okay, ich versuch’s«, antwortete sie in einem Ton, der ebenso gut »da muss ich unbedingt hin« wie auch »verpiss dich, Junge« bedeuten konnte.

2

Serra war ebenso flach und unwirklich wie die Begegnung mit dem New Yorker Mädchen. Er lud in eine Mitte ein, die sich plötzlich als Oberfläche entpuppte, er erwartete, dass ich mitmachte, aber er versprach nichts. Ich irrte zwischen gigantischen Bändern von verrostetem Blech umher, seine sanften Kurven machten mich schwindeln. Man benutzte mich als Meißel zur Bearbeitung des Raums.

Als ich die Galerie verließ, war die Stadt schon violett gefärbt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schliefen auf mehrstöckigen Metallbetten brav die Autos.

Von Glenwood aus, wo ich bei Bekannten wohnte, fuhr man eine Ewigkeit zur Bowery. In der Nähe der Columbia University erschien in meinem Waggon ein Junge mit einem dicken Stapel Papier auf dem Unterarm, er sah aus wie ein Kellner. Er sprach mich an, sagte, er sei Dichter und verkaufe für einen Dollar seine Gedichte mit Autogramm. Ich kaufte drei Stück. Was ich mache und wohin ich fahre, erwähnte ich nicht; es gibt nichts Traurigeres als die Konfrontation zweier Illusionisten.

Im Bowery Poetry Club begrüßten mich der lachende, pausbäckige Besitzer, ein Porträt von Ginsberg und ein Schild an der Bar: Bowery beef is currently closed … but Bowery Poetry Club is open, join us for poetry performance and libations; außerdem ein leeres, im Halbdunkel versunkenes Podest mit einem Mikrofon in der Mitte und einem braunen Vorhang im Hintergrund. Das Mikro war eine Herausforderung. Die Atmosphäre war etwas depressiver hier als zwei Tage zuvor in dem stickigen länglichen Saal des Cornelia Street Café, das wie ein großes Theaterlager aussah.

Während ich meine Ware unter die Leute brachte, war ich zu angespannt, um an Megan zu denken. Im Übrigen glaubte ich nicht, dass sie sich blicken lassen würde.

Etwa beim dritten Gedicht ging die Tür des Clubs auf. Ich schaute von meinem Buch auf und sah, wie sie schnurstracks auf mich zuging, mit einstudiertem, aber lockerem Gang, und jede ihrer Bewegungen krümmte die Raumzeit. Sie setzte sich auf einen Platz in der ersten Reihe und lauschte mit der Miene einer Klassenbesten der Grundschule.

Steves untrügliche Stimme erklang in mir: »Copulation – stärker, nachdrücklicher, mit Emphase, das kannst du dir leisten. War es angenehm oder nicht? Wenn ja – dann leg einen Zahn zu!« Ich gestaltete das Repertoire etwas profilierter: mehr klebrige Texte, mehr Körper. Aber auch ein bisschen Gott, um nicht als Tier dazustehen.

Eine Autorenlesung ist eine verdammt verdächtige Sache; der Schriftsteller schreibt, um sich zu verhüllen, sich hinter dem eigenen Text zu verbergen, von den Menschen abzugrenzen, um zu sagen: »Heute kann ich nicht mit euch zum Lunch gehen« und den Leuten stattdessen seinen Cousin aufs Auge zu drücken, der übrigens viel interessanter ist. Und dann kommt er hinter der Kulisse hervor wie zwischen seinen Versen, oder anders: Er durchschlägt das von hinten beleuchtete Papier, hinter dem er sich versteckt hat, hinter dem er eine deutliche Kontur ohne Gesichtszüge und andere besondere Merkmale gewesen ist, und stürzt auf die Bühne wie eine Parodie von Superman, halb so groß und ziemlich verstört. Mit dem Gedichtband in der zitternden Hand. Keine Scheinwerfer, die Achten beschreiben, keine Serpentinen und Fanfaren. Nur das Schweigen des Publikums, das gekommen ist, um den Dichter zu sehen. Ganz im Ernst: Stellt euch ein Puppentheater vor, in dem der Schauspieler seine Puppe verdeckt – genau das empfinde ich, wenn ich den Leuten Gedichte vorlese, und dann habe ich nur eine Möglichkeit: zu vergessen, dass ich der Autor bin, so zu sprechen, als spräche mein Protagonist. So zu lesen, als läse mein Held etwas über sich selbst vor. Er zu sein.

»Ich schließe mit einem Gedicht, das entstand, nachdem ich nach vielen Jahren meine erste Liebe wiedergetroffen hatte. Aber das ist mir nur einmal im Leben passiert. In der Regel wollen die Mädchen aus meiner Vergangenheit mich nicht wiedersehen. Ich habe keine Ahnung warum.«

Für alles zu spät, für nichts zu früh1

Wieder werden wir uns unverhofft treffen
nach Jahren, wir werden vorsätzlich Bier und Wein mit Wodka mischen, um mitten in der Nacht
mit den Rädern durchs Viertel zu fahren,
wobei wir unverhofft gegen die hohen

Bordsteine knallen, Beete zertrampeln,
uns die Wangen zerschneiden
an unverhofft gewachsenen Ästen,
um unverhofft dann zu stürzen,
die verbogenen Räder zu schieben,
zu mir zu gehen, die Wunden

zu verbinden, uns dann schlafen zu legen,
um morgens unverhofft zu kopulieren wie Tiere, aus Angst, dass unverhofft etwas wiederkommt,

was wir vor Jahren spürten,
als wir kopulierten wie Menschen.

Der Beifall war noch nicht verhallt, als Megan von ihrem Sitz aufstand und zum Ausgang ging. Ist sie eingeschnappt? Will sie, dass ich ihr folge, sie ausfrage, was ihr nicht gefallen hat, was ich in Zukunft besser machen könnte? Also wirklich. Wer ist diese Tussi, dass ich von ihrer Meinung mein Selbstwertgefühl abhängig machen sollte?

»Nicht schlecht, die hat Charisma!«, sagte Gary, der Besitzer meiner Bude, und steckte mir ein Kondom mit der bunten Aufschrift »New York« in die Tasche, das er aus einer Schüssel an der Bar nahm.

Der kleine pubertäre Scherz gefiel mir, jedenfalls hätte ich von einem sechzigjährigen Doktor der Physik so etwas nicht erwartet.

Die nächste Viertelstunde verbrachte ich damit, mit Bob, dem Chef des Clubs, der ebenfalls Gedichte schrieb, und anderen örtlichen Poeten zu plaudern. Aber ich wäre nicht imstande gewesen zu sagen, worum das Gespräch sich drehte, denn ich dachte die ganze Zeit nur an eines: Wo war Megan abgeblieben?

Draußen war es hell, eine typische New Yorker Nacht. Kühler Regen setzte sich wie Spray sanft auf den Gesichtern ab. Mitten auf dem Bürgersteig stand meine Architektin, und neben ihr Gary, der schon einige Bier intus hatte und aufdringlich in ihre Richtung gravitierte. Ohne Eile näherte ich mich den beiden, kurz darauf kam auch Miranda dazu, Garys Frau, sein Mutterplanet, in dessen Gegenwart er seine Bahn schlagartig korrigierte.

»Ich muss eine rauchen, obwohl das in diesem Land ja sträflicher ist, als sich zu spritzen«, sagte ich.

»Bietest du mir eine an?«, fragte Megan.

»Das glaub ich jetzt nicht, ich dachte, du ernährst dich ausschließlich von Biosprossen.«

»Warum?« Ihre Augen nahmen den Ausdruck eines Trolls an.

»Was heißt warum? Deine Haut ist glatter als ein Embryo, außerdem haben hier alle einen Hau weg in Bezug auf Bioprodukte, Gary isst nur Äpfel mit Würmern.«

»Ich bin aus Kanada, bin erst vor drei Monaten nach New York gekommen. Ich achte nicht auf Kalorien, mag Fast Food und rauche. Sonst noch was?«

»Ich habe nur eine Kippe, wir können sie teilen.«

Sie rechnete damit, dass wir uns abwechseln würden, aber von wegen – ich würde selbst entscheiden, wann die Distanz verringert wird.

Chairs of Belgrade

Während sie von den Stühlen erzählte, wurde Megan sehr lebhaft, es war angenehm anzuschauen, wie sie aus der Form geriet, wie sie aus den Öffnungen ihres beeindruckenden Gehäuses die Plasmafühler ausstreckte, die sich im Wind bewegten, den warmen Strömungen ihrer Einweggeschichte gehorchend. Wichtiger als das, was sie sagte, war für mich, wie sie es sagte.

»Die Ausstellung der Fotos stand unter einem Motto von Novalis: ›Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge.‹ Die Bilder haben wir mit kurzen Kommentaren versehen. Das waren verzweifelte Versuche von mir, eine Interpretation für unsere Kunst zu finden. Vielleicht machen wir irgendwann ein Album aus diesen Fotos. Würdest du den Stühlen literarische Lebensläufe verpassen, wenn die Idee funktioniert?«

»Klar, warum nicht.«

Ich würde jedem alles verpassen, sogar einem Fisch ein Fahrrad (aber das hatten wir schon), um dich heute nur so lang wie möglich hierzubehalten, und am liebsten würde ich dir mich verpassen, selbst wenn dabei postmoderner Kitsch herauskäme, dachte ich und schenkte ihr ein abgelaufenes Lächeln.

Seither taucht immer, wenn ich einen Stuhl sehe, in meinem Kopf Megan auf. Verdammt, kann man sich eine fatalere Assoziation vorstellen? Vor allem, wenn man vergessen will?