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Inhalt

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Titel

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Kapitel XXVII

Autorenporträt

Übersetzerporträt

Über das Buch

Impressum

[Leseprobe – Katzenleben]

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Ein ganz normaler Kater

I

Ich habe beschlossen, mich den Menschen in ihrer Sprache mitzuteilen. Mir ist bewusst, dass es Aufsehen erregen wird, wenn dieser Entschluss bekannt wird, obwohl E.T.A. Hoffmanns Kater Murr es vor nahezu zweihundert Jahren ebenso gehalten hat, und das unter deutlich widrigeren Umständen als ich.

Während er einen Gänsekiel in der Pfote halten und immer wieder ins Tintenfass tauchen musste, brauche ich lediglich, wenn die Hausherrin ausgegangen ist, mit einer Kralle leicht auf die Tasten eines Computers zu drücken. Nein, ich habe keineswegs etwas in der Art von König Salomos Ring gefunden, der es ihm ermöglichte, die Sprache aller Tiere zu verstehen, sogar die der Würmer. Doch selbst angenommen, ich hätte einen solchen Ring gefunden, der die Kraft hat, mich die Menschen verstehen zu lassen – wo könnte ich den unauffällig verborgen halten? Die Erklärung ist viel einfacher: Die Grundlage meiner Kenntnisse hat ein Fernseh-Lehrgang für Analphabeten gelegt, den ich mir heimlich auf einem auf den Dachboden verbannten Schwarz-Weiß-Gerät angesehen habe. Allerdings muss ich gestehen: Trotz dieser außergewöhnlichen wissenschaftlichen Unterstützung ist es mir nicht gelungen, an den großen Wortschatz und die geistreiche Vielfalt des Katers Murr heranzureichen, der mit seinem Ingenium die Bedeutung der gedruckten Worte erfasste, indem er, was sein Meister laut las, mit den Buchstaben in den Büchern verglich, in die er hineinsah, während er neben ihm saß.

Jener Kater war zugleich Dichter, unterhielt sich mit einem Hund, schrieb einen Roman über die Unterschiede zwischen Katze und Hund, hielt einem Artgenossen Moralpredigten, etwas, das ich zwischen mir und mir abmache, ja, er malte sogar, indem er seine Schwanzspitze in ein Tintenfass tauchte. Dies Vergnügen bleibt mir zu meinem Bedauern versagt, weil mir das Geschick einen Stummelschwanz zugedacht hat.

Da ich die Menschen kenne, ahne ich, dass sie anzweifeln werden, was ich schreibe. Sie sind wahrhaft seltsam. Während sie an Botschaften und Stimmen aus einer jenseitigen Welt glauben, misstrauen sie den höchst verständlichen Bekenntnissen einer Katze von dieser Erde. Von Murr abgesehen, würde jede Katze aus früheren Zeiten mein Vorhaben missbilligen. Nie und nimmer hätte eine von ihnen dergleichen getan. Allerdings mussten sie sich auch Tag und Nacht um ihre Nahrung kümmern und darauf achten, nicht selbst von Wölfen und anderem Raubzeug gefressen zu werden. Es war ihr Schicksal, rückständig zu sein. Dank dem Menschen habe ich diese Sorgen nicht. Durch meine Nähe zu ihm habe ich mir dessen Gewohnheiten so sehr zu eigen gemacht, fühle mich meiner Stamm-Mutter, der Wildkatze felis silvestris, so fern, dass ich mir gewisse Begierden wie das Verlangen nach Mäusen ab- und dafür das nach anderem angewöhnt habe. Dazu gehört auch, dass ich mitreden, meine Meinung sagen will.

Letzten Endes bin ich mit Einwilligung des Menschen zu einem ebenso freien Wesen geworden wie er selbst und genieße ähnlich ihm alle damit verbundenen Vorteile. Das Leben im Haus macht mich träge, ich rolle mich zusammen, wo immer ich Lust dazu habe, auf der Anrichte, auf dem Schreibtisch, im Bidet, auf dem Nachttisch, den Betten, vor allem aber auf der Sessellehne neben dem Menschen, von wo aus ich, berauscht vom Ledergeruch, den Bildschirm des Fernsehers vor Augen habe.

Ich habe unendlichen Nutzen daraus gezogen, ohne dass er etwas davon gemerkt hat. Der ständigen Sorge um die Nahrung enthoben, hat sich mein Geist geschärft, und ganz wie der Mensch verfüge auch ich nach Jahrtausenden des Lebens im unzivilisierten Zustand über eine Reihe von Fähigkeiten. Nur ist der Fortschritt bei mir weit rascher verlaufen als bei ihm, weil die Natur uns Katzen entsprechend unserer kürzeren Lebensdauer ein deutlich schnelleres Lernen ermöglicht hat.

Wenn ein Mensch mit sieben Jahren so weit ist, dass er seinen Verstand gebrauchen kann, sind wir sozusagen schon alt und seit einer ganzen Weile im Besitz allen Wissens. Wenn er mit vierzehn Jahren die Schulpflicht erfüllt und seine Verstandeskräfte verdoppelt hat, könnten wir Katzen schon zwei vollständige Leben hinter uns haben. Mit sieben Monaten ist eine Kätzin geschlechtsreif, und bereits mit einem Jahr wären wir in einem Alter, das Wahlrecht auszuüben, wenn wir es besäßen. Unsere Abgeordneten wären zwei Jahre alt, und der Präsident drei. Mit sieben bis acht Jahren hätten wir das Rentenalter erreicht.

Selbstverständlich verfolge ich Tiersendungen mit großem Interesse. Dabei habe ich alle Arten kennengelernt, die Seite an Seite mit meinen Vorfahren gelebt haben: Löwen, Elefanten, Tiger, Gazellen und Bären.

Es ist schön, auf diese Weise zu beobachten, wie sie einander bekämpfen und zerfleischen, während ich selbst in Sicherheit bin. Mir will scheinen, dass ein römischer Dichter einen ähnlichen Gedanken geäußert hat. Sendungen über Literatur und Naturwissenschaften lasse ich mir nämlich auf keinen Fall entgehen. Sehr gern sehe ich mir auch Direktübertragungen an, insbesondere solche von kriegerischen Auseinandersetzungen. Ganz versessen bin ich auf Katastrophen. Zwar ist es mir noch nicht gelungen, meine Angst vor Feuer und Blitzen zu besiegen, Flammen und Explosionen erschrecken mich, aber der Anblick von Blut auf dem Bildschirm erregt mich, vor allem in Farbe. Der Mensch ist uns wirklich überlegen, dagegen kann man nichts sagen. Wir würden es nie und nimmer fertigbringen, uns eine vergleichbare Art von Lustgefühl zu verschaffen, das durch die Sicherheit, die der räumliche Abstand verschafft, noch gesteigert wird. Ohne dass man sich besudelt, halten die Bilder zerfetzte Leiber fest und hindern sie auf diese Weise daran, ins Wohnzimmer zu gelangen. Allerdings verstehe ich nicht, warum der Mensch so viele andere umbringt, wenn er sie nicht verzehren will.

Dank dem Fernsehen habe ich die Kultur des Menschen kennengelernt und konnte mir seinen reichen Wortschatz aneignen. Im Vergleich dazu ist der unsrige ziemlich armselig. Das hat nicht etwa den Grund, dass wir Katzen einander nichts zu sagen hätten, wohl aber den, dass wir das in gedrängter Weise tun.

Alles, was ich hier bisher von mir gegeben habe, könnte man mit einem »Miau« zusammenfassen, das eine streunende Katze völlig kalt ließe. So sind nun einmal die kulturellen Unterschiede beschaffen.

Während ich lerne, schnurre ich dem Menschen etwas vor, der mich ahnungslos streichelt. Ich komme mir vor wie ein griechischer Haussklave im alten Rom. Zwar schätzt mich der Mensch, lobt mich, und sicher rühmt er sich meiner seinen Bekannten gegenüber, aber er möchte, dass ich Katze bleibe. Daher ist es besser, dass er nichts von den Fortschritten erfährt, die ich mache. Er würde sofort anfangen zu überlegen, wie er Nutzen aus mir schlagen kann. Er hat nichts als Geld im Kopf und brächte es glatt fertig, mich für eine Million Dollar zu verkaufen. OK, wie die Menschen sagen. Es fehlt mir an Intelligenz, genauer gesagt habe ich so viel davon, wie ich brauche, um ganz wie die Menschen vor den Tücken dieser Welt verschont zu bleiben und so angenehm wie möglich meine fünfzehn Jahre zu verleben. Das genügt mir. Dass der Mensch fünf- bis sechsmal so alt wird wie wir Katzen, hat weniger damit zu tun, dass er klüger wäre, als damit, dass ihn die Natur mit mehr Großzügigkeit oder größerer Niedertracht behandelt. Bei ihm wie bei uns ist es eher eine Frage des Glücks als der Intelligenz. Ein weiterer Unterschied zwischen ihm und uns Katzen besteht darin, dass er sogar noch nach dem Tod weiterleben will, was wir für unmöglich halten, eben weil wir Katzenverstand besitzen. Da er sich anmaßt, alles zu erklären, auch wenn ihm die Einsicht fehlt, hält er sich für klüger. Besäße ich mehr von dieser Menschenintelligenz, wäre ich keine Katze, sondern irgendein anderes Wesen. Schon jetzt leide ich wegen meiner Fähigkeit, wie ein Mensch zu denken, unter Identitätskrisen. Doch da ich genauso aussehe wie früher und auch meine Bedürfnisse im Großen und Ganzen dieselben geblieben sind, betrachte ich mich nach wie vor als Katze. Ganz davon abgesehen möchte ich um alles Gold der Welt keiner anderen Art oder Gattung angehören. Jedes Geschöpf ist mit seinem eigenen Geschick verbunden – um das zu begreifen, muss man keine Katze sein. Auch der Mensch würde nicht etwas anderes sein wollen, als er ist. Sogar dann, wenn er im Begriff steht, ein Engel zu werden, tut er alles, um Mensch zu bleiben.

Ich benötige wirklich nicht mehr Intelligenz, als ich habe. Ein Mehr davon würde sich für mich katastrophal auswirken. Dann hätte auch ich gern einen Gott und würde ihn gegen den des Menschen aufwiegeln, mich mit dem einen wie dem anderen überwerfen und dabei mit Sicherheit den Kürzeren ziehen. Um sich gegen mich zu verteidigen, müsste der Mensch schon sehr flink sein und in einem Harnisch schlafen. Aber ich würde ihm hinter einem Pissoir auflauern oder wenn er sich der Liebe hingibt.

II

Es wird Zeit, dass ich mich vorstelle. Von meinem Vater, dem Vernehmen nach ein Karthäuserkater, heißt es, er habe in einer Februar-Vollmondnacht mehrere streunende Nebenbuhler aus dem Feld geschlagen, die wie er vom Uringeruch meiner Mutter angelockt worden waren. Auf diese ebenso handfeste wie eindeutige Weise senden wir sowohl Warnungen als auch Liebesbotschaften aus. Jeder hat seine eigene Methode, mit Artgenossen in Verbindung zu treten – die Menschen tun es über das Mobiltelefon und wir über den Urin. Auch wenn unsere Mitteilungen nicht dieselbe Reichweite wie die ihre haben, so genügt sie doch, um uns zu verständigen. Auch bedient sich unsereins zur Übermittlung von Liebesbitten keiner Boten – wir trauen ihnen nicht. Da unser Flehen außerdem von einem Augenblick auf den anderen kommt und eine baldige Antwort verlangt, die höchstens eine bis zwei Stunden auf sich warten lassen darf, rühren wir uns nicht vom Fleck. Niemand könnte uns bei unserer Dringlichkeit helfen, nicht einmal die italienische Post. Wir lesen mit dem Geruchssinn. Niemand braucht uns dies praktische und unfehlbare Verfahren beizubringen, denn wir beherrschen es von Natur aus. Analphabeten gibt es in unseren Reihen nicht. Statt Fahnen zu hissen, Wachposten aufzustellen und die Grenzen unseres Territoriums abzustecken, kennzeichnen wir sie mit Urin. Dies »Betreten verboten« ist deutlicher und eindrücklicher, als wenn wir eine Mauer errichten würden, und es gilt ausnahmslos für alle Katzen. Niemand bekommt einen Passierschein, und wir unterhalten auch kein diplomatisches oder sonstiges Korps. Jede Grenzverletzung wird als Kriegserklärung angesehen. Das gilt auch für Mäuse und Vögel, wobei letztere an Ort und Stelle gerupft werden.

Meine Abstammung von einem Karthäuserkater ist ein unerhebliches Detail, und ich bin in keiner Weise stolz darauf. Derlei Dinge sind Schwächen des Menschen. Weil er es sich angewöhnt hat, sich selbst in Rassen einzuteilen und nach gesellschaftlichen Klassen abzugrenzen, maßt er sich an, uns nach Perser, Birma, Türkenkatzen, British Blue, Russisch Blau, Europäisch Kurzhaar, Abessinier, Siam, Burma, orientalisch Kurz- und Langhaar, Manx-Katze und so weiter zu unterscheiden. Wären wir Menschen, würde allein das schon genügen, Rivalität und Rassenhass unter uns auszulösen.

Mit Sicherheit war meine Großmutter mütterlicherseits eine Siamkatze, der ich also zu einem Viertel edle Herkunft verdanke. Doch auch diese Abstammung erfüllt mich nicht mit Stolz. Wir sehen einander alle als gleichwertig an, ob Promenadenmischung oder reinrassig. Ungeachtet ihres Stammbaums ist meine Großmutter eines Nachts aus dem Hause entwischt, um sich dem ersten streunenden Kater hinzugeben, der ihr über den Weg lief. Junge Kater sehen in ihrem Vater nichts als einen Nahrungskonkurrenten und Rivalen beim anderen Geschlecht, den es auf Abstand zu halten gilt. Für uns Katzen zählt ausschließlich der Charakter, aber nicht einmal damit brüsten wir uns. Wenn wir uns schlagen, und das tun wir voll blinder Wut, wobei jeder auf sich gestellt ist und niemand Bündnisse zu schließen versucht oder Hilfe von anderen erwartet, gehen wir anschließend nicht her und erzählen es herum, auch überliefern wir es nicht der Nachwelt in Form von Gedichten oder Romanen. Nach dem Kampf leckt jeder seine Wunden, ohne dass wir einander bedauern. Es gibt weder Siegesmeldungen noch Orden, weder Entschädigungen noch einen Ehrensold. Auch Groll ist uns fremd – wir kehren einfach nach Hause zurück, als sei nichts geschehen.

Die Menschen glauben, dass ich auf den Namen reagiere, den sie mir gegeben haben, aber da irren sie sich. Ich reagiere lediglich auf den Klang der Stimme, und das auch nur, wenn ich Lust dazu habe. Untereinander benutzen wir Katzen keine Namen. Die Anonymität hat beträchtliche Vorzüge. Damit meine ich nicht nur, dass man keinen Namen hat, sondern vor allem, dass wir niemand sind und keiner uns damit verärgern kann, dass er über uns redet oder gar herzieht. Man wird für das genommen, was man ist, und das ausschließlich, solange eine Beziehung besteht. So etwas brächte der Mensch nie im Leben fertig. Für ihn ist der Name unabdingbar, denn ohne ihn hätte er weder einen Schutzheiligen im Himmel, noch könnte er seinen Ehrgeiz befriedigen, mit dem er hoch hinaus und über den anderen schweben will, die von unten zu ihm aufblicken sollen. Damit gibt er dem Neid Nahrung, eine uns Katzen fremde Empfindung, in der sich die Machtlosigkeit aufbäumt. Wenn einem von uns etwas misslingt, tritt er den geordneten Rückzug an und wartet auf eine günstigere Gelegenheit, ohne sich zu grämen und sich die Seele zu vergiften.